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Weiter schreiben
Lasse ich das Schreiben eine Weile bleiben, ist es, als habe ich nie geschrieben. Und als würde ich nie wieder auch nur einen Vers zustandebringen. Zu Beginn meiner Selbstständigkeit hatte ich mir ausgemalt, wie das literarische selbstverständlich neben dem “ökonomischen” Schreiben weiterfließen würde. Zurzeit ist mein Auftragskalender gut gefüllt, zum Glück. Ich arbeite innerhalb präzise abgesteckter Zeiten – eine Einheit vormittags, eine Einheit nachmittags, und schwupps: ist der Arbeitstag rum und ich haste zur Kita. Wieder keine Zeit gehabt für Gedichte, das unprofitable Schreiben, das unnütze lange Lesen, das mich Versenken in Sprache. Vor ein paar Tagen ist das Belegexemplar der „Risse“-Frühjahrsausgabe bei mir eingetroffen, die Zeitschrift für Literatur in…
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Reise ins Blau der Karpaten
Ich hatte vergessen, wie dammbrechend das Reisen ist. Nach wenigen Tagen in Rumänien bricht in meinem erst leeren Kopf ein Strom von Gedanken los. Darunter: Erinnerungen an frühere Rumänienreisen zu zweit. Ideen zu meiner Selbstständigkeit. Überlegungen, was unser Leben als kleine Famlie in Paris eigentlich ausmacht. Womit wir unsere Zeit verbringen, womit wir uns umgeben. Über Kultur nachgedacht: Wie öde das Leben wäre ohne Literatur, Musik und Kunst. Wie der Geist brachläge ohne Spiel und Muße. Welch ein Geschenk, Schönheit wahrnehmen und zelebrieren zu können. Ich nehme mir vor, diese Energie aufrechtzuerhalten, bis wir wieder zu Hause sind. Die ersten Tage in einem Dorf bei Bukarest sind der rumänischen Familie…
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Zwei besondere Ausstellungsorte für Gegenwartskunst in Paris
Manchmal hab ich diesen Kunst-Sog in mir. So einen Durst nach Bildern und Farbe, nach Plastischem. Dann ist es ein Glück in Paris zu leben. Ein Rendez-vous mit der Kunst kann man sich hier jederzeit geben – es gibt sie in allen Formen, an so vielen Orten der Stadt. Meist hab ich schon eine Ausstellung im Hinterkopf, deren Plakat ich in der Metro oder an einer Kioskwand gesehen hab. Dann braucht es nur noch den günstigen Moment – einen frei geschaufelten Nachmittag, eine Begleitung (oder auch nicht), und ich mache mich auf den Weg, das Notizbuch in der Tasche, vorfreudig und immer auch ein wenig ehrfürchtig. In jüngster Zeit habe…
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Poesie trifft Grafik – Veröffentlichung in der Künstlermappe „Rostocker Ansichten“
Am Morgen übergibt mir der Postbote ein Paket in A3 Format; Absender: Kunstverein zu Rostock. Kurz darauf öffne ich die strahlend weiße Künstlermappe, entdecke Blatt für Blatt die signierten Grafiken von Rostocker Künstlern neben literarischen Texten, die sich mit der Hansestadt auseinandersetzen. Zu den Autoren zählen u.a. Kerstin Preiwuß, Peter Wawerzinek und Silke Peters. Zwei Gedichte von mir – Kempowski-Ufer und zu halb vier (2015) – erscheinen mir wie zwei Säulen auf dem für mich ungewohnten großen Format. [Wie immer bei einer Veröffentlichung erst die Scheu vorm eigenen Text. In etwa, wie wenn man die eigene Stimme auf einer Audio-Aufnahme hört und der erste Reflex ist, sich die Ohren zuzuhalten.…
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Das Gegenteil von Igel
Nie so verbunden gewesen mit dem Leben, wie es jetzt ist. Nie so einverstanden damit gewesen. Nie so aufmerksam und selbstvergessen zugleich. Nie so gleichmütig gewesen. Nutzen & Ergebnis, Messlatten & Skalen, Bedingung & Erwartungen, was kümmert mich das. Nie so eingekapselt gewesen. Geborgene Enge, enge Geborgenheit. Paar Quadratmeter Leben: Banales & Wiederkehrendes, Besänftigendes & Befriedendes. Vorübergehende Stilllegung von Fernweh. Die Impulse pöcheln nur sanft. Hin und wieder das Aufmucken der kleinen inneren Freiheitskämpfer, ihre Ausschreitungen, ihre Rückeroberungen von Terrain, je größer das Kind wird. Nie so eingekapselt und doch nie so wenig Igel gewesen: Vielmehr geöffnet zu allen Seiten, mein Herz ist ein Schwamm und alles dringt rein. Nie…
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Ach, Notre Dame…
Am Montag Abend plötzlich die Nachricht: Notre Dame steht in Flammen. Was? Am Nachmittag hatten wir noch bei schönstem Sonnenschein die Seine überquert – auf dem Weg zum Louvre, nur zwei Brücken entfernt von der Île de la Cité, dem Herzen von Paris, wo die Kathedrale steht, die uralte, schweigsame, unverrückbare. Jetzt brannte ihr Dach lichterloh und viele Pariser sahen fassungslos zu, wie der gotische Vierungsturm gegen 20 Uhr einstürzte. Das Feuer hatte den gesamten Dachstuhl erfasst, der Wind blies die Flammen noch an. Als wir ins Bett gingen, war unklar, ob Notre Dame am nächsten Morgen noch da sein würde. Unvorstellbar, dass um ein Haar nur noch Schutt und…
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April in Paris
Die Luft ist noch kühl, aber das Lebensgefühl schon wie ausgewechselt: April! In Paris blühen die Alleen. Das helle Licht bis zum Abend lässt die Stadt wieder atmen, es öffnet die Straßen und Boulevards, öffnet die Fenster in den Etagen, belebt Terrassen und Parks. Ab und zu gehen Regenschauer nieder und das Grün der Kastanien und die Lichter vom Verkehr leuchten durch den Dunst hindurch. Ich liebe diesen Monat in Paris. Das Gefühl, mittendrin und unterwegs zu sein. Draußen zu essen, draußen zu lesen. Die Winterblässe zu verlieren und Pläne für die kommenden Monate zu schmieden. Jetzt geht die gute Zeit wieder los.
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Fünf Jahre für ein Gedicht
Ich erinnere mich oft noch genau an den Moment, in dem mir der Einfall für die ersten Verse eines Gedichts kam. Präzise sehe ich den Ort, das Licht, die Jahreszeit – die Kreuzung von äußeren Eindrücken und innerer Verfassung, die den Einfall möglich machten. Ein kühler Aprilabend vor fünf Jahren. Ich bin auf dem Heimweg von einer öffentlichen Veranstaltung in der Sorbonne. Still hatte ich in der Lesung gesessen, den Dichtern und Essayisten auf der Bühne zugehört. In Gedanken schweifte ich immer wieder ab und reiste weit, bis mich dann und wann ein leuchtender Vers wieder in den Raum zurückbrachte. Am Ende der Lesung wurde zu einem Glas Wein geladen,…
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Gute Bücher im März
März war für mich ein guter Lesemonat. Nein, ich habe keine dicken Romane verschlungen, auch keine dünnen, leider. Dafür war die am Stück verfügbare Zeit zu knapp und somit das Risiko zu hoch, dass ich den Faden der Geschichte zu oft verliere und dann schlechten Gewissens ganz aufgebe. Deshalb lese ich in solchen Phasen (aber auch sonst rund ums Jahr) Gedichte: Die sind kurz und tief; kompakt und weit ausfaltbar. Sie stillen meinen Hunger nach Schönem und Echtem. Dieses Hungergefühl ist, mal stärker, mal latenter, eigentlich immer da. Auch kurze Essays, Sachbücher oder eine gute Zeitung lesen sich ganz gut nebenbei, wenn man im Alltag mal, hier mal da 20…
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Märzsamstag im Jardin des Plantes
Es gibt so viele Orte in Paris, die ich E. zeigen möchte. Noch ist sie sehr klein. Ausflüge müssen gut geplant sein – andernfalls bringen sie uns allen mehr Stress als Vergnügen. Denn Paris ist anstrengend, die Boulevards laut, die meisten Cafés nicht für eine Pause mit Kleinkind geeignet. Aber es gibt auch zauberhafte Nischen inmitten der Stadt. Vor Kurzem haben wir uns auf den Weg zum Jardin des Plantes gemacht, einem wunderbaren botanischen Garten im Quartier Latin. Ein weitläufiger Park mit geheimnisvollen Ecken, einem uralten Zoo und naturkundlichen Lehrpfaden. Ich passiere die Pforte zum Jardin des Plantes, im Arm eine ungeduldige E., die sich windet und jetzt lieber allein…