Mein Paris

Sonntagskränzchen unter Nachbarn

Am Sonntag sind wir zum Tee bei unserer Nachbarin C. eingeladen. Nachbarin heißt nicht, dass wir Tür an Tür wohnen. In unserem Gebäude gibt es viele Etagen und mehrere Aufzüge. Viele von
den Bewohnern, meist ältere Paare und Alleinstehende, kennen wir nicht einmal vom Sehen. Unten in der Eingangshalle kreuzt man sich manchmal. Einige Herrschaften sind stolz und grüßen beinah nie. Mit anderen steht man zusammen im engen Aufzug, wünscht sich herzlich und scheu “Bonsoir” und hätte gern ein paar mehr Worte ausgetauscht, anstatt sich einander auf die Schuhe zu schauen.

Es trifft sich, dass man doch eines Tages einen kleinen Gesprächsaufhänger findet und während der zwei, drei Minuten Fahrt in die Höhe Erstaunliches erfährt. Ach, Sie kommen aus Brasilien? Sie lehren Philosophie an der Sorbonne? Auf ähnliche Weise lernten wir C. kennen. Sie ist Verlagslektorin in Rente und wohnt allein ein paar Etagen unter uns. Ihr aufgeweckter Geist und ihre Begabung für das leichte, gediegene Plaudern sind erfrischend und wir nehmen ihre Einladungen keineswegs aus Höflichkeit an. Bei Tee und Madeleines möchte sie, selbstverständlich im Rahmen der bourgeoisen Diskretion, alles über Arbeit, Studium und Wohlergehen von uns erfahren. Ihrerseits zwitschert sie von “cinéma”, “théâtre” und ihren zahlreichen Ehrenämtern.

Nachmittagssonne fließt über die Teppiche. Ich schaue von ihrem
Balkon aus in den Hinterhof und von draußen in den Salon zurück. Hunderte Bücher, Sofas im alten Stil, ein glänzender Eichentisch. Als die Sonne schon tief steht (vorher hatten F. und ich uns gesagt: Wir bleiben nur ein Stündchen!), verabschieden wir uns in den Aufzug. Merci, merci! Bonne soirée et à bientôt!

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