Gedanken

ZEIT DES WARTENS, ZEIT DES WACHSENS

Wieder am Ende einer Woche angelangt. Februar und ein wenig milde Luft weht schon durch Paris. Die Morgende sind nicht mehr ganz so dunkel und es fällt täglich leichter morgens aufzustehen. Irgendwo unter den dicken Decken der Wintermüdigkeit regen sich schon neuer Tatendrang und Lebenslust… Dabei ist das Frühjahr noch weit, diese Zeit, in der mich die Unruhe packt, das Licht die innere Starre durchbricht und neue Entwicklungen möglich werden.

Die beruflichen Projekten blieben diese Woche ruhig. Da ist ein Auftrag, der noch nicht bestätigt ist, ein anderer, der noch nicht begonnen hat. Eine Zwischenzeit, die ich genieße (und die Raum gibt für Gedichte, Kunst und Spielereien) – trotz der Ungewissheit über den genauen Ablauf der nächsten Wochen, über Erfolg oder Misserfolg meiner Projekte. Wird sich immer eins zum anderen fügen? Ein Auftrag dem nächsten folgen? Wird mir meine Selbstständigkeit glücken?

Mir kommt oft dieser Rilke-Brief an einen jungen Dichter in den Sinn:

Forschen Sie jetzt nicht nach den Antworten, die Ihnen nicht gegeben werden können, weil Sie sie nicht leben könnten. Und es handelt sich darum, alles zu leben. Leben Sie jetzt die Fragen. Vielleicht leben Sie dann allmählich, ohne es zu merken, eines fernen Tages in die Antwort hinein.

Viel stärker noch als vor einigen Jahren, jetzt, wo ich fast dreißig bin, sehe ich, wie sich die riesengroßen Fragen wirklich allmählich mit Antworten füllen. Und wie sehr ich selber bestimmen kann, wie diese Antworten ausfallen. Das braucht manches Mal Mut. Ich denke an eine Strophe aus Eva Strittmatters Gedicht „Risiko“:

Das Risiko muß man bejahn:
Man arbeitet ohne Seil.
Es macht nichts, wenn man sich außen verletzt:
Innen bleibt man heil.

Es hat sich bisher immer gelohnt, loszulassen, loszubalancieren in Richtung des Ungewissen, ein Schritt vor den nächsten, bis der Schwindel nachlässt.

Eine Bekannte, viele Jahre als Psychoanalytikern tätig, sagte einmal zu mir: „C’est difficile de devenir la personne que l’on souhaite être“ – Es ist schwer, zu dem Menschen zu werden, der man sein möchte. Das klingelt mir noch immer in den Ohren.

Braucht das nicht ein ganzes Leben – immer weiter zu wachsen, sich zu immerfort zu entwickeln hin zu der Form, die uns selbst am ähnlichsten sieht. Die Form, die uns in voller Blüte stehen lässt: unsere Talente zu Werken geworden, unsere Werte zu einem authentischen Lebensprojekt. Eine schöne Aussicht.

5 Kommentare

  • Lilo

    Du bist so lebens-begabt… Vertrauen ist dazu wohl eine der wichtigsten Eigenschaften. Und Aktion. Und Mut.
    Das Talent zu seinem ganz eigenen optimalen Lebensentwurf hat wohl jeder – das ganz eigene Talent zum ganz eigenen Leben.
    Das grösste Talent ist das Geschenk des Lebens überhaupt. Man sollte es nicht verwerfen.
    Ich schreibs mir hinter die Ohren.

    • Friederike

      “das ganz eigene Talent zum ganz eigenen Leben” – genau! sicherlich wird man immer begabter für diese Entfaltung seiner selbst, je besser man sich kennt, in sorglosen wie in schwierigen Lebensphasen. Und: ich stelle mir dieses Talent wie eine innere Kompassnadel vor, die uns mit den Jahren immer genauer und sicherer den eigenen Weg im Leben anzeigt.

  • Barbara

    Schön, dass Du wieder da bist. Es ist gut von Deinen Gedanken zu lesen. Das Leben als Geschenk sehen.
    Ich will mich gerne weiterentwickeln, aber was geschieht mit den Menschen, die stehen bleiben obwohl ihr Lebensprojekt noch nicht beendet ist und noch so viele Talente in ihnen schlummern. Danke für Deine guten Gedanken.

    • Friederike

      danke, liebe Barbara. Ich freu mich, dass du weiterhin mitliest.
      Ja, manchem erlischt der Funke irgendwo auf dem Weg, obwohl von außen betrachtet noch so viel Gutes für diesen Menschen möglich scheint. Das auszusprechen, bringt manchmal schon einen (– sei es einen kleinen) Stein ins Rollen…

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