Bücher & Lesen,  Gedanken,  Mein Paris

IM STROM DER TAGE

Mein Kalender sagt mir: schon Woche 9 des Jahres. Irgendwann zwischen Januar und Februar muss sich die Zeit beschleunigt haben? Wir stehen im Strom der Tage, der Wochen – ein starker, wild-schöner Strom, in dem man kaum etwas Festes zu fassen bekommt, um mal innehalten, sich umschauen, in sich hineinschauen zu können. Wo stehen wir, wie geht es uns?

Da waren die schlimmen Windpockentage, die E. so mitgenommen haben. Fiebernächte und Kratzattacken. Kurze Gänge mit Kinderwagen durch die Kälte zur Apotheke, zur Post. Fürsorgetage, die alles andere hintenan stellen, meine Projekte auf Pause setzen, weil gerade nichts wichtiger ist als das Genesen meines Kindes.

Da waren Morgende, an denen ich ein halbstündiges Zeitfenster für mich öffnen konnte: einfach hinsetzen und die Augen schließen zu Stille und Meditation. Hinterm Balkonfenster das Dächermeer im Morgengrauen, von Rosa und Hellgrau durchdrungen. Irgendwo zwischen Dächern und Antennen die glasklaren Flötentöne einer Amsel.

Da waren neben der Arbeit an einem bestellten Artikel und einer längeren Übersetzung auch Momente zum “nutz-losen” Lesen: Zum Beispiel die wunderschönen Gedichte von Nadja Küchenmeister, die man sich auch anhören kann, bei Lyrikline. Und dann dieses Foto eines Reiner Kunze-Gedichts bei Stepanini gesehen und ganz große Lust auf Kunze-Lyrik bekommen und den Band „Ein Tag auf dieser Erde kreuz und quer, in Tiefe und in die Höhe gelesen… bis E. ihn sich griff, irgendwo in der Wohnung versteckte und das Buch seither verschollen ist.

Ein Sonntag war unter den hinfließenden Tagen, da fuhren wir in unser altes Viertel, ins 6. Arrondissement, um unsere Nachbarinnen von damals wiederzusehen. Tausendmal haben wir diese Pforte aufgestoßen, tausendmal den Aufzug genommen und noch viel öfter den Blick von unserer Terrasse auf Panthéon, Saint-Sulpice und Jardin du Luxembourg gehabt – als wir selbst noch in der Rue d’Assas wohnten. All das kam wieder an dem Sonntag und war schon fremd geworden seit unserem Auszug, wie der Abschein eines vergangenen Lebens, als wir noch keine Eltern waren und klitzeklein auf neunter Etage wohnten, dort im Herzen von Paris.

Und immer wieder, mitten im Strom der Tage, kleine Momente des Durchleuchtens der eigentlichen Prioritäten und des Echten, die gute wichtige Selbstbefragung nach eigenem Wunsch, um ihn herauszuheben aus dem äußeren Druck und den Fremdwünschen, die sich so oft als die eigenen verkleiden.

Und Frohsinn ob der Sonne und Vorfreude auf Frühling, es geht aufwärts und es wird hell…


2 Kommentare

  • Barbara Landgraf

    Oja, die Windpocken. Ich erinnere mich an den einen Urlaub. Sie waren plötzlich da, alles drehte sich darum das lästige Jucken los zu werden und das bei drei Kindern fast gleichzeitig.
    Fieber, bei einem nicht, das andere Kind um so mehr …
    Ich habe in diesem Urlaub das Schwedische Wort für Windpocken gelernt vattkoppor. Wir erinnern uns trotzdem gern an diesen Urlaub, den Regen, die neuen Schwedischen Gummistiefel und daran, dass Boot fahren in einem Steinzeitboot gar nicht so einfach ist.
    Ich habe in diesem Urlaub gelernt Pläne zu ändern und auch mit geänderten Plänen glücklich zu sein.

    • Friederike

      Windpocken im Urlaub und das bei drei Kindern, ich kann verstehen, dass du dich daran bis heute gut erinnern kannst! vattkoppor…
      Schön aber, dass du die Familienreise trotzdem mit dem Schönen, das ihr zusammen erlebt habt, verbinden kannst!

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