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Weiter schreiben
Lasse ich das Schreiben eine Weile bleiben, ist es, als habe ich nie geschrieben. Und als würde ich nie wieder auch nur einen Vers zustandebringen. Zu Beginn meiner Selbstständigkeit hatte ich mir ausgemalt, wie das literarische selbstverständlich neben dem “ökonomischen” Schreiben weiterfließen würde. Zurzeit ist mein Auftragskalender gut gefüllt, zum Glück. Ich arbeite innerhalb präzise abgesteckter Zeiten – eine Einheit vormittags, eine Einheit nachmittags, und schwupps: ist der Arbeitstag rum und ich haste zur Kita. Wieder keine Zeit gehabt für Gedichte, das unprofitable Schreiben, das unnütze lange Lesen, das mich Versenken in Sprache. Vor ein paar Tagen ist das Belegexemplar der „Risse“-Frühjahrsausgabe bei mir eingetroffen, die Zeitschrift für Literatur in…
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Poesie trifft Grafik – Veröffentlichung in der Künstlermappe „Rostocker Ansichten“
Am Morgen übergibt mir der Postbote ein Paket in A3 Format; Absender: Kunstverein zu Rostock. Kurz darauf öffne ich die strahlend weiße Künstlermappe, entdecke Blatt für Blatt die signierten Grafiken von Rostocker Künstlern neben literarischen Texten, die sich mit der Hansestadt auseinandersetzen. Zu den Autoren zählen u.a. Kerstin Preiwuß, Peter Wawerzinek und Silke Peters. Zwei Gedichte von mir – Kempowski-Ufer und zu halb vier (2015) – erscheinen mir wie zwei Säulen auf dem für mich ungewohnten großen Format. [Wie immer bei einer Veröffentlichung erst die Scheu vorm eigenen Text. In etwa, wie wenn man die eigene Stimme auf einer Audio-Aufnahme hört und der erste Reflex ist, sich die Ohren zuzuhalten.…
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Fünf Jahre für ein Gedicht
Ich erinnere mich oft noch genau an den Moment, in dem mir der Einfall für die ersten Verse eines Gedichts kam. Präzise sehe ich den Ort, das Licht, die Jahreszeit – die Kreuzung von äußeren Eindrücken und innerer Verfassung, die den Einfall möglich machten. Ein kühler Aprilabend vor fünf Jahren. Ich bin auf dem Heimweg von einer öffentlichen Veranstaltung in der Sorbonne. Still hatte ich in der Lesung gesessen, den Dichtern und Essayisten auf der Bühne zugehört. In Gedanken schweifte ich immer wieder ab und reiste weit, bis mich dann und wann ein leuchtender Vers wieder in den Raum zurückbrachte. Am Ende der Lesung wurde zu einem Glas Wein geladen,…
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Notiz vom Glück
Ein kleines Gedicht von mir, erschienen im Literaturboten (N°130), das mir wieder in die Hände fiel. Eine Notiz übers Glück. Das quicklebendige, impulsive Glück, das ein Kind empfinden kann, ohne zu wissen, dass es sich Glück nennt. Und dass dieses Empfinden in all den späteren Jahren selten werden würde, jedenfalls seltener in dieser Reinheit und Genügsamkeit: Im Garten sein, Gras harken, rücklings in den zusammengekratzen Haufen fallen – und in den Himmel sehen, wirklich den Himmel sehen. Jeder hat so einen Garten Eden.
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EIN BUCH IM ENTSTEHEN
Für einen gedichtband bedarf es hundert und mehr poetischer einfälle, hundert originärer, mehr oder weniger entdeckerischer verknüpfungen von welt – auch für einen zeitraum von vier, fünf jahren eine zahl, die staunen machen sollte –. Reiner Kunze, eines jeden einziges leben, S.115. Einen Gedichtband komponieren. Wie macht man das? Hier liegen all diese Gedichte ausgedruckt vor mir, die meisten davon entstanden in den letzten drei Jahren. Alle fingen mit einem poetischen Einfall an, einer Wendung, einem Fragment, aus dem dann langsam ein ganzer Textkörper heranwuchs, den ich dann tage-, wochen-, monatelang gemeißelt und behauen habe, bis sich das eigentliche Gedicht mühsam herausschälte. Nun ziehe ich Bilanz, ordne, selektiere. Welche Gedichte…
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GESCHRIEBEN WIE IM TRAUM
Wie schreibt man mit Kind? Wie schreibt man über das Leben und das Schreiben mit einem Kind? In den allerersten Tagen dieses Jahres habe ich „Department of Speculation“ („Amt für Mutmaßungen“ in deutscher Übersetzung) von der in Brooklyn lebenden Autorin Jenny Offill gelesen. Auf ihr viel gelobtes Buch bin ich über den wunderbaren Austin Kleon gestoßen, der sich unter anderem mit ebendieser Frage nach der Vereinbarkeit von Kunst und Familie beschäftigt. Eigentlich durchläuft dieses Thema den Roman aber nur hintergründig. Vordergründig spielt sich eine Geschichte ab, die einem irgendwie bekannt vorkommt: Zwei lernen sich kennen – beide sind jung, und leidenschaftlich der Kunst verschrieben. Sie verlieben sich, schreiben einander Briefe,…
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KUNST UND SPIELEREIEN
Es ist Frühling und während sich draußen alles erneuert, hatte ich Lust, auch dem Blog einen kleinen, frischeren Anstrich im Titel zu geben. Ich überlege, wie ich das Bloggen gestalten kann, dass es mir Freude macht, regelmäßig zu schreiben. Und dass mein Schreiben dem Lesenden auch etwas mitgibt. Letztes Jahr im Februar habe ich diesen Blog kreiert. Ich stand im letzten Stuzdienjahr und suchte einen neuen kreativen Ausdruckskanal. Heute schaue ich noch einmal in den allerersten Lyra-Post, in dem ich schrieb: “Über Paris liegt kalte, hellgraue Februarluft. Die Parks sind blätterlos, die Terrassen werden geheizt. Manche Boutiquen im Viertel sind geschlossen, es sind Winterferien. Ehe es wieder zu schnell gegen…
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STERNSTUNDEN
Abends komme ich von der Arbeit zurück in mein Zimmer, überhitzt, erschöpft und mit wirbelnden Sinnen, und es tut gut, einen ruhigen Unterschlupf zum Rückzug zu finden. Denn es ist ja nicht so, als verändere man sich in den Grundfesten, nur weil man an das andere Ende der Welt gereist ist. Auch hier bleibt neben all der nach außen gerichteten Lebenslust mein Bedürfnis nach regelmäßiger Stille bestehen. Erst in den nach innen gewandten Momenten kann ich das Erlebte sinken lassen. Erst dann wirken Gespräche nach, ebbt der Lärm ab. Ich muss meine Sinne auskühlen lassen. Ich schreibe auf dem Bett sitzend und die Wörter im Kopf und auf dem Blatt…
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INNENLEBEN
Ich tauche kurz auf, mit ein paar stillen Bildern und Worten in der Hand. Noch komme ich nicht hinterher, den Fluss der Tage und Ereignisse zu filtern. So also nur eine kleine Momentsaufnahme zum Sehen, Lesen, Hören der letzten Zeit. lass. sieh dich nicht um. verzeih, dass liegen blieb was liegen blieb, denn eingedenk der wirrnis beim erwachen ließ ich den morgen wie er war – Nadja Küchenmeister, aus : Der Sperling Gute, stille Lyrik fährt mir den Puls runter und weckt alle Sinne, obwohl doch nur das Auge liest. […] und dort am rand des blickfelds stieg und sank der augentrost, der sperling, in den tag. verzeih, dass ich…
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WENN IN PARIS DER HERBST EINZIEHT
der park altert in milchigem septemberlicht den wegen fallen die verbrannten schuppen auf die schultern unter unsern sohlen knacken die abende kurz auf auf angewinkelten armen lehnt der herbst am sims der stadt Wie konnte ich nur über das lange Jahr, über Sommersehnsüchte und weiße Nächte, vergessen, wie schön der Herbst ist? Herbst, der eigentliche Seelenmonat. Hymne an das Leben, im Vergehen begriffen. Jedes Jahr eine Erinnerung an die Vergänglichkeit und Zerbrechlichkeit aller Dinge, aber keine schmerzhafte, eine versöhnliche. Melancholie ist kein Abgrund, sondern, wie Victor Hugo sagt, das Vergnügen traurig zu sein. In Paris erlebt man den Wechsel der Jahreszeiten am intensivsten in den Parks. Heute war ich…